Das Gebäude

Tieranatomisches Theater, historisches Bild

Johann Friedrich Kluge, 1812. Lavierte Federzeichnung. © Stiftung Stadtmuseum Berlin


1:10 Modell des Hörsaals mit Hubtisch

Seit über 200 Jahren bietet das Tieranatomische Theater der Wissenschaft eine eindrucksvolle Bühne. Es ist Berlins ältestes noch erhaltenes Lehrgebäude mit seinerzeit einmaligen Bedingungen für die veterinärmedizinische Lehre und Forschung. Der Zentralbau ist als überkuppelter und gestufter Hörsaal gestaltet und ein Meisterwerk des preußischen Frühklassizismus. Sein Architekt Carl Gotthard Langhans (1732–1808) kombinierte antike Vorbilder des Rundtempels und Amphitheaters und schuf eine völlig neue Wissensarchitektur: Ästhetik, Symbolik und praktischer Nutzen gingen hierin eine wirkungsvolle Verbindung ein. Im Zentrum des Gebäudes befand sich eine vom Präparationssaal in das Anatomietheater führende Hebebühne, die eine spektakuläre Inszenierung der anatomischen Vorlesung ermöglichte. Diese einmalige historische Konstellation, Anatomie zugleich wissenschaftlich wie auch ästhetisch wirksam zu präsentieren, motiviert uns heute, Ausstellungen als eigenständige Wissensform weiterzuentwickeln: als Verknüpfung wissenschaftlicher, ästhetischer und sozialer Praxis.

Chronologie

1787–90

König Friedrich Wilhelm II. beauftragt die Errichtung einer Tierarzneischule. Der barocke „Reußsche Garten“ an der Stadtgrenze samt Lustgarten und Wasserspielen wird ­eigens für dieses Vorhaben erworben. Unter Leitung des ­Architekten Carl Gotthart Langhans wird für die Königliche Tierarznei­schule ein Kuppelbau in mitten der Gartenanlage geplant.

August Niegelsson: Vue de la Zootomie à Berlin, 1797. Kolorierter Kupferstich

1790

Feierliche Eröffnung der Königlichen Tierarzneischule zu Berlin zur Ausbildung von „Roßärzten“ und Fahnen­schmieden für die preußische Kavallerie und zur Bekämpfung grassierender Tierseuchen wie der Rinderpest. Das klassizis­tische Gebäude mit seinem anatomischen Theater wird von Beginn an als architektonisches Kleinod wahrgenommen. Das Gelände beherbergt nun Pferdekoppeln und -ställe sowie eine Pferdeklinik und eine Hufeisenschmiede.

1841

Der Lehrbetrieb wächst zunehmend, sodass die Bibliothek und Teile der Schausammlung aus Platzgründen in das neuerrichtete Hauptgebäude (heute Luisenstr. 55) ziehen. Etwa zeitgleich wird das umliegende Gelände in ­einen englischen Landschaftsgarten umgestaltet.

Situationsplan des königlichen Thierarznei-Schul-Gartens zu Berlin, 1841. In: W. Schütz, 1890

1874

Das Tieranatomische Theater erhält einen Anbau, den „Gerlach-­Bau“. Er ist konzipiert als Obduktionshalle zur Durchführung von pathologischen Studien und beherbergt wissenschaftliche Sammlungen.

1920

Nach sechsjährigem Leerstand zieht die Nahrungsmittelkunde in den bereits renovierungsbedürftigen Langhansbau ein. Die Eckräume werden in Labore umgewandelt und in der Rotunde entsteht eine Schausammlung. In der ­Berliner Redensart wird das Tieranatomische Theater zum ­„Trichinentempel“ (Trichinen = parasitäre Fadenwürmer).

1933–45

Der Gerlach-Bau wird um eine Schlachthalle erweitert. Die Tierärztliche Hochschule wird als Teil der Landwirtschaftlich-­Tierärztlichen Fakultät in den Verband der ­Berliner Universitäten eingegliedert. Mit dem Ordinarius für Veterinäranatomie, Wilhelm Krüger, wird ein ­Nationalsozialist Rektor der Berliner Universität. Nur ­wenige Mitglieder des Lehrkörpers widersetzen sich – ­öffentlich allein der ­Parasitologe Wilhelm Nöller.

1950–90

Sechs Professoren verlassen die Fakultät, um in West-Berlin ab 1950 eine zweite Veterinärmedizin an der Freien Universität zu gründen. An der Humboldt-Universität wird 1968 die Sektion Tierproduktion und Veterinärmedizin gegründet, die ihre Forschung stärker auf die industrielle Nutztierhaltung ausrichtet.

Jan Peter E.R Sonntag: SINUS, 2015. Foto: Felix Sattler

2005–12

Sanierung und Restaurierung des Tieranatomischen ­Theaters unter der Leitung der Architekten Müller Reimann. Nach der Wiedereröffnung 2012 nutzt das ­Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität das Haus für Ausstellungen und Veranstaltungen.